Liebe Mit-Jubiläumskonfirmanden, liebe Gäste und Freunde!
Bei einer Jubiläumsfeier wie heute wird man als Beteiligter unbarmherzig an das doch schnelle Verrinnen so vieler Jahre erinnert. Zwischen meiner Konfirmation im Jahr 1952 und heute liegen 60 Jahre, also fast ein ganzes Menschenleben. Die Konfirmationsfeier fand am 30. März 1952 am historisch bedeutenden Ort der Frankfurter Paulskirche statt und war für mich und die 54 Mitkonfirmanden ein unvergessliches Ereignis. Mein Religionsunterricht begann 1948, ich war damals 11 Jahre alt. Unterrichtsort, auch für den späteren Konfirmandenunterricht, war die Wohnung von Pfr. Clemens Taesler in der Eckenheimer Landstraße 17.
Da unser Wohnort, damals Bischofsheim, zwischen Frankfurt und Hanau gelegen war, ergab sich für mich ein langer und zeitaufwendiger Weg zum Unterricht. Insbesondere ist mir der abenteuerliche Fußweg vom Ostbahnhof zur Eckenheimer Landstraße noch gut in Erinnerung. Er führte entlang dem Gleis der Trümmerbahn durch völlig zerstörte Stadtgebiete, immer geradeaus und auf kürzestem Weg zum Ziel. Den Weg hatte ich selbst gefunden. Dass die Trümmerbahn am Ostbahnhof vorbeifuhr, wusste ich von meinem täglichen Schulweg zur Helmholtzschule. Bei einem Besuch von Clemens Taesler mit meinen Eltern habe ich gesehen, dass am Scheffeleck/Eckenheimer Landstraße auch eine Trümmerbahn fuhr, und dann geschlossen, dass man von einem zum anderen Ziel zwangsläufig gelangen musste, wenn man dem Gleis folgt. Einen Stadtplan und eine Vorstellung über die Entfernung hatte ich nicht. Ich erinnere mich noch, wie mir beim ersten Mal Zweifel gekommen sind, ob das an den beiden Zielpunkten auch die gleiche Trümmerbahn war, denn der Weg wollte kein Ende nehmen. Hätte ich doch dem elterlichen Rat folgen und mit der Straßenbahn fahren sollen?
In der öden, grauen, zerstörten Gegend gab es aber einen Lichtblick: Auf halbem Weg etwa war eine hohe, stehen gebliebene Giebelwand mit aufgemalten bunten Pferden, Reklame und Hinweis auf eine früher existierende Pferdemetzgerei. Dies war mein kulturelles „Highlight und Kunsterlebnis“. Vielleicht ist das der Grund, weshalb mir die Tier- und Pferdebilder von Franz Marc so gut gefallen.
Der Weg zum Religionsunterricht war wohl für alle 55 Konfirmanden vor 60 Jahren ähnlich beschwerlich. Ich frage mich heute, wie wir das zeitlich damals hinbekommen haben, denn es gab ja noch die Schule (auch samstags), Hobbies, Treffen und Aktionen mit Freunden, sportliche Aktivitäten. Die Eltern hatten weder Auto noch Telefon, es gab unterwegs nichts Essbares zu kaufen. Das alles hat sich erst nach der Währungsreform 1949 ganz allmählich geändert. Elterliche Hilfsdienste schieden für uns also aus, wir mussten damals alleine zurecht kommen.
In Bezug auf freie Zeit waren wir im Vergleich zu heute vermutlich besser dran. Es fehlten damals Ablenkungen wie Fernsehen, Computer, Handys, Notebooks usw.
Aber was hat uns dazu gebracht, für den Religions- und später den Konfirmanden-Unterricht solche Widrigkeiten und Umstände auf uns zu nehmen und ihn so eifrig zu besuchen? Der Druck der Eltern, aber auch die Persönlichkeit Clemens Taeslers, ein freundlicher, heiterer und umgänglicher älterer Herr, der uns Kinder und Jugendliche ernst genommen, aber auch viel von uns verlangt hat. Uns hat er immer mit spannenden Geschichten erfreut.
Uns wurden nicht nur die religiösen Grundlagen der unitarischen Religion „Ehrfurcht, Humanität und Toleranz“ vermittelt sondern auch die naturwissenschaftlichen Grundlagen. Interessant für mich waren Fragen zur Entstehung und Entwicklung des Weltalls und des Lebens auf der Erde im Widerstreit zwischen christlicher Religion und Wissenschaft. In der Schule wurde dies so gut wie nicht behandelt. Spannend war für mich, dass Clemens Taesler uns auf die vielen Widersprüche und offensichtlichen historischen Fehler in der Bibel hinwies, die nach seiner Meinung daher nicht das „Wort Gottes“ sein kann.
Nach der Konfirmation ergab sich für mich eine schöne Zeit in der unitarischen Jugendgruppe mit Pfr. Sigurd Taesler, der nach seiner Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft sich zunächst sehr um die Jugend gekümmert hat. Nach der Konfirmation durfte ich gleich auf meine erste Jugendfahrt mitkommen, die Osterfahrt 1952 nach Laubach. Viele Fahrten schlossen sich in den folgenden Jahren an.
Das Erlebnis dieser Fahrten hat bei mir die Beziehung zur unitarischen Religion und zur Gemeinde weiter gefestigt. Viele Freundschaften aus der damaligen Zeit haben bis jetzt gehalten. Seit einigen Jahren – nach Beendigung des Arbeitslebens – kann ich wieder unitarische Fahrten genießen, jetzt geleitet von Pfarrer Dr. Manuel Tögel.
Heute fühle ich mich in unserer Gemeinde wohl und hier fest verwurzelt, sie ist mir eine Heimat. Viel zur Verbundenheit mit der Gemeinde hat auch unser Manuel beigetragen und natürlich meine Tätigkeit im Gemeinderat, zuletzt als Vorsteher. Ich freue mich immer über die interessanten und guten Gespräche über religiöse und philosophische Themen. Nach Friedrich Schiller gehören zu guten Gesprächen nicht nur gute Freunde, sondern auch ein guter „Roter“, der ja für ältere Herren so nützlich ist.
Ich danke Ihnen.
Dr. Helmut Reeh